Ausgangspunkt unseres Ausflugs ist der Isartalbahnhof an der Thalkirchener Straße in München, den wir bequem mit der Straßenbahn erreichen können. An den Sonntagen fährt seit letztem Jahr jede Stunde ein elektrischer Zug der Lokalbahn AG. München nach Wolfratshausen. Es werden aber auch Sonderzüge eingesetzt. Mit manchen Zügen kann man über Beuerberg auch zur Endstation in Bichl weiterfahren. Es empfiehlt sich vorher den angeschlagenen Fahrplan zu studieren.

Nach einer halben Stunde Fahrzeit erreichen wir den Bahnhof von Pullach. Von hier aus geht es zu Fuß zum Gasthaus „Rabenwirt“ neben der hübschen Pfarrkirche, die erst vor kurzem mit wunderschönen spätmittelalterlichen Kunstwerken neu ausgestattet wurde. Hier zeigt uns ein Wegweiser den Weg nach „Bad Pullach“. Über einen steilen, aber mit einem Geländer gut gesicherten Steig steigen wir über viele Treppenstufen hinab ins Isartal zu den wenigen Häusern des Kneipp-Bads, das unmittelbar am Fluss liegt und seit einigen Jahren Erholungssuchende zu einem Kuraufenthalt fern vom Getriebe der Großstadt einlädt.

Wir wandern dem Fluss Richtung München entlang und erreichen bald eine Drahtseilfähre, die der Pullacher Kalkofenbesitzer Xaver Bauer 1882 für die Ausflügler aus München für den Übergang nach Geiselgasteig eingerichtet hat. Nun müssen wir den „gachen“ Steig (daher der Name „Gasteig“) hinaufsteigen um das Ziel unseres Ausflugs zu erreichen. Die bereits von Graf von Seysell d’Aix, dem früheren Besitzer, eingerichtete Gaststätte „Zur Einkehr“ erwartet uns mit einem im Braumeisterhaus selbst gebrauten Weißbier bei einem herrlichen Blick ins Isartal und auf das gegenüberliegende Hochufer mit der Burg Schwaneck, dem Phantasieschloss des Bildhauers Ludwig Schwanthaler, und der Waldwirtschaft in Großhesselohe, die bereits seit fast einhundert Jahren ein beliebtes Ausflugsziel der stadtmüden Münchner ist.

Bei einer deftigen Brotzeit können wir uns durch einen sehr gebildeten Gast, der sich zu uns an den Tisch setzt, über die Geschichte des ehemaligen landwirtschaftlichen Gutes, das seit einem Jahr in den Besitz der Heilmann‘schen Immobilien-Gesellschaft übergegangen ist, informieren. Geiselgasteig war neben Harlaching und Harthausen eine der Schwaigen, die das Jagdgebiet der Wittelsbacher Herzöge vom Schlösschen Neudeck in der Au in München bis zum Schloss Grünwald am Hochufer der Isar säumten, denn die Herzöge, ihre Jagdgäste und Jagdgehilfen mussten ja schließlich auch versorgt werden. Die Ansiedlung Geiselgasteig ist ebenso alt wie der Ort Grünwald. Auch hier wurden bronzezeitliche Gräber gefunden und die erste urkundliche Erwähnung von 1155 ist nur einhundert Jahre später als die von „Derbolfing“ (1048). Die Wittelsbacher kauften 1428 die Schwaige, die sie dann stets verpachteten, von den „Taufkirchnern“, einem im Hachinger Tal ansässigen Ortsadel.

Von der alten Schwaige ist nur die Kapelle „Zum hl. Blut“ erhalten, die der Pächter Balthausar Ranckhenpacher 1627 zum Dank für seine Heilung von schwerer Krankheit erbaute. 1780 übergibt schließlich Kurfürst Karl Theodor die Schwaige als „Ritterlehen“, zusammen mit Schloss und Hofmark Harlaching, dem Gut Laufzorn und dem „Mauerschlössl“ (heute „Parkresidenz“ an der Eierwiese) seinem kurbairischen Generalleutnant, Fürst Friedrich Wilhelm zu Ysenburg (1730, Birstein – 1804, Mannheim), der mit der natürlichen Tochter des Kurfürsten, Karoline Franziska Dorothea (1762 – 1816), verheiratet war (25.10.1776). Karoline Franziska war aus Verbindung des Kurfürsten mit der Schauspielerin Françoise Desprès-Verneuil († 1765) hervorgegangen, die 1762 zur „Freiin von Parkstein“ erhoben worden war. Karoline Franziska wurde 1762 legitimiert. Ihr Vater versuchte beim Kaiser, um die Ebenbürtigkeit zu erreichen, seine Tochter ebenfalls zur Gräfin von Parkstein erheben zu lassen. Das Vorhaben scheiterte daran, dass die Herrschaft Parkstein kaiserliches Lehen in Böhmen war und zwischenzeitlich bereits wieder vergeben war. Karoline Franziska wurde deshalb zur „Gräfin von Bergstein“ erhoben, dessen ungeachtet nannte sie sich dennoch stets „von Parkstein“.

Die Erben der Gräfin Karoline, die durch Heirat zu einer Fürstin von Ysenburg aufgestiegen war, konnten Geiselgasteig nicht halten.  Sie verkauften 1828 die Schwaige an den Münchner Weinhändler Anton Bader. In den Folgejahren wechselten die Eigentümer oft. Schließlich erwarb 1839 der städtische Baurat Muffat das Gut. Er erbaute um 1860 ein „Herrenhaus“ mit einem markanten Stufengiebel Da Muffat später ein Darlehen der Stadt München nicht bedienen konnte, kam die Schwaige 1868 durch Gerichtsbeschluss in Besitz der Stadt, die sie noch im selben Jahr weiterverkaufte. Neuer Eigentümer wurde der kgl. bayerische Major Camille Graf von Seyssel d’Aix. Er ließ das von Muffat errichtete Herrenhaus durch einen Wintergarten über der Veranda erweitern und erbaute die Ökonomiegebäude neu: Pferde und Kuhstallungen mit einem „Heuraum“ auf der Westseite über dem zur Isar abfallenden Steilhang.

Die „Maximiliansbahn“ von München über Holzkirchen nach Rosenheim war längst eröffnet und die Münchner strömten an den Wochenenden ins Isartal. Die Biergärten in der Menterschwaige und in der Waldwirtschaft in Pullach florierten. Besonders beliebt war bei den Münchnern die „Großhesseloher Kirchweih“. Das Bier floss in Strömen. Das Fest endete oft mit Randale, so dass sogar Militär für Ordnung sorgen musste. An diesen Wochenenden mussten in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts weit über dreißig Sonderzüge von München zum Bahnhof Großhesselohe eingesetzt werden. Auf die Dauer wollte Graf Camille doch auch am wachsenden Ausflugsverkehr ins Isartal teilhaben: „Von Großhesselohe ist es auch bis nach Geiselgasteig nicht allzu weit zu gehen, deshalb wird sich auch hier ein Biergarten lohnen“, war seine Überlegung. Graf Camille baute ein Weißbierbrauhaus, Gasträume und eine Kegelbahn. Seine Gaststätte „Zur Einkehr“ wurde 1881 eröffnet.

Nach seinem Tod im Januar 1895 begann für Geiselgasteig endgültig eine neue Zeit. Die Erben verkauften umgehend. Neuer Eigentümer wurde noch im selben Jahr der Realitätenbesitzer und kgl. preußische Kommerzienrat Wilhelm Kiesekamp, ein Mann mit geschäftlichem Weitblick. Er legte zwar einen Park mit einer Fläche von 5 Tagwerken und einen Obstgarten von 2000 qm an, aber Landwirtschaft war nicht sein eigentliches Ziel. Die restlichen 460 Tagwerke an Wiesen und Feldern der Schwaige gedachte er als Villenbauland zu veräußern. Unser Gesprächspartner, der wohl wegen seiner profunden Kenntnisse ein Münchner Lehrer sein musste, meinte zum Schluss seines geschichtlichen Exkurses: „Das Gut ist aber bis heute verkehrsmäßig nicht erschlossen. Wer kauft sich denn hier schon ein Grundstück? Es bestehen zwar seit Jahren Planungen eine Straßenbrücke in Grünwald zu bauen. Aber wer weiß, wann die kommt. So war die Weitergabe des Gutes an die „Aktiengesellschaft Heilmann’sche Immobiliengesellschaft in München“ mit Kaufvertrag vom 11. April 1900 zwangsläufig. Die haben mehr Möglichkeiten. Mal sehen, was die Zukunft bringt.“ Wir bedanken uns für den ausführlichen Vortrag und machen uns auf den Heimweg.

Den Rückweg nehmen wir in Richtung München, die Hochleite entlang zur Großhesseloher Eisenbahnbrücke, die wir mit einem schwindelerregenden Blick in die Tiefe des Isartales überqueren. Auf der anderen Talseite können wir im Bahnhof „Großhesselohe“ in den nächsten Zug der staatlichen Maximiliansbahn zum „Holzkirchner Bahnhof“ in München einsteigen und unsere von der Tageswanderung ermüdeten Beine ausruhen lassen.

Viele Jahre später erfuhr ich, dass es bei unserem hoch informierten Gesprächspartner im Biergarten um einen Herrn Dr. Engelsperger handelte, der noch Geiselgasteiger Geschichte schreiben sollte.

Wie sieht es heute, nach weiteren 120 Jahren, in Geiselgasteig aus? Die Gaststätte „Grünwalder Einkehr“ besteht immer noch. Sie wurde durch die Heilmann’sche Immobiliengesellschaft erweitert. Das westliche Ökonomiegebäude wurde in eine „Restaurationsbierhalle“ umgebaut. Neu kam das noch erhaltene „Haupthaus“ mit dem markanten Torbogen als eigentliches Gasthaus mit Fremdenzimmern hinzu. Die Restaurationsbierhalle wurde von Münchner Künstlern prächtig ausgestaltet, so dass sie sogar in zeitgenössischen Kunstführern erwähnt wird.

Das „Herrenhaus“ kaufte 1909 der Münchner Lehrer Dr. Alphons Engelsperger, der in ihm eine Schule für Lernbehinderte und zudem eine Volksschule einrichtete, so konnten auch die Kinder der ersten Villenbesitzer in nächster Nähe den Unterricht besuchen. Dr. Engelsperger machte sich um Grünwald sehr verdient, ist Begründer der Gemeindebibliothek und Mitinitiator der „Grünwalder Chronik“ von 1938, die schließlich Dr. A. Ried herausgab.

Die Gastwirtschaft „Grünwalder Einkehr“ übernimmt 1910 das Thomas-Bräu in München. Das Herrenhaus ist längst abgebrochen, an seiner Stelle wurden Reihenhäuser errichtet. An die Schwaige mit ihrer jahrhundertelangen Geschichte erinnert nur noch am Straßenrand die Hl. Blut Kapelle. Die Kapelle war bereits 1905 von der Heilmann’schen Immobiliengesellschaft der Stadt München geschenkt worden. Wiesen und Felder sind längst verkauft und mit zahlreichen Villen überbaut.

Wolfgang Kuny 30.09.2017, überarbeitet: 13.10.2020